Überlebenskünstler Flechten

Unsere Referentin Frau Dr. Andrea Berger am Mikroskop
Bonn, den 21.02.2019
Flechten sind faszinierende Wesen, bei denen ein oder mehrere Pilze (Mycobion- ten) in Symbiose mit Algen und/oder Cyanobakterien (Photobionten) leben. Durch die Kombinationen der Mycobionten mit den Photobionten erobern sich die Flechten Lebensräume, die sie alleine nicht oder nur schlecht besiedeln könnten. Daher findet man Flechten quasi überall. Nur schlechte Luft mögen sie nicht, weswegen sie in Städten und früher im "Pott" seltener anzutreffen waren. Da sich Flechten als Luftgütezeiger eignen, wurden sie besonders in der Zeit um 1970-1990 (Schwefeldioxid-Problematik) als Bioindikatoren genutzt.
Unsere Referentin Frau Dr. Andrea Berger von Kölner Arbeitskreis Mikroskopie hatte sich vorgenommen, uns die Flechten in Vortrag und Praxis näher zu bringen, was ihr in der gut besuchten Veranstaltung auch vollkommen gelungen ist. Nach einem interessanten und unterhaltsamen Vortrag über Anatomie, Lebensweise und Vorkommen der Flechten konnten wir in Durch- und Auflicht einige der faszinierenden Eigenschaften verschiedener Arten kennen lernen. Dabei waren auch UV-Lampen im Einsatz, da einige Flechtenarten eine teils ausgeprägte Fluoreszenz zeigen.

Der Flechtenabend mit Frau Dr. Andrea Berger war gut besucht
In Eigenschaften und Wuchsform unterscheiden sich die Flechten stark von den Organismen, aus denen sie sich zusammensetzen. Auch die typischen Flechtensäuren werden nur in der Symbiose gebildet. Weltweit gibt es etwa 25.000 Flechtenarten, davon kommen bei uns in Europa ca. 2000 vor. Dabei ist der Anteil an endemischen Arten vergleichsweise gering.
In der Regel gibt der Pilz der Flechte ihre Form, dabei können mehrere Photobionten vorhanden sein. Jüngste Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass auch mehr als eine Pilzart in einer Flechte vorkommen kann. In der biologischen Systematik werden Flechten den Pilzen (Fungi) zugerechnet, unter denen sie als eigene Lebensform eine Sonderstellung einnehmen; sie sind also keine Pflanzen.
Alles in allem also eine große Vielfalt, die auch direkt vor unserer Haustür beobachtet werden kann, was auch die vielen Proben zeigten, die uns Frau Berger zur näheren Betrachtung mitgebracht hatte.
Ein Eindruck von der großen Auswahl mitgebrachter Proben
Je nach Wuchsform spricht man von Krustenflechten, wenn sich der Flechtenkörper oder das Lager (auch Thallus) flach an das Substrat drückt und nur eine geringe Dicke aufweist. Ein Beispiel für eine Krustenflechte ist die Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum). Von Blatt- oder Laubflechten spricht man, wenn der Flechtenkörper kleinere oder größere lappenförmige Thalli aufweist, die oft eher locker auf dem jeweiligen Substrat aufliegen und ggf. durch Rhizinen Halt findet. Bei der häufigen Wand-Gelbflechte (Xanthoria parietina) handelt es sich um eine Blattflechte. Strauchflechten hingegen bilden ein Lager aus verzweigten, oft bäumchenartigen Thalli. Ein Beispiel ist das Eichenmoos (Evernia prunastri).
Beispiele für die Wuchsformen von Flechten
Der Thallus einer Flechte folgt oft einem typischen Aufbau: bei den meisten Laubflechten wird auf der dem Substrat abgewandten Seite die äußere Schicht aus dichten geflochtenen Pilzfäden (Hyphen) gebildet, sie wird obere Rinde genannt. Darunter liegt die Algenschicht, in der die Algen in einem lockeren Pilzgeflecht lagern. Anschließend folgt die Markschicht, die aus lockerem Pilzgeflecht ohne Algen besteht. Es schließt sich die untere, dem Substrat zugewandte Rinde an, die durch Rhizinen, wurzelartige Pilzfäden, die dem Substrat eng anliegen oder es durchdringen, verankert ist. Solche Flechtenkörper, in denen die Photobionten nur in einer Schicht liegen, nennt man heteromer. Wenn der phototrophe Partner dagegen mehr oder weniger regellos zerstreut im Pilzkörper liegt, spricht man von einem homöomeren Thallus (Wikipedia).

Allgemeiner Aufbau eines Flechtenthallus, Beschreibung siehe Text (aus Biologie der Pflanzen; Raven, Evert, Eichhorn, Seite 364)
Einige Flechteninhaltsstoffe fluoreszieren bei der Anregung mit ultraviolettem Licht. Dies lässt sich heute leicht mit einer der bei den großen Händlern im Netz günstig erhältlichen UV-Taschenlampen prüfen. Vorsicht, nie direkt in eine solche Lampe schauen, Augen schützen.
Die Wand-Gelbflechte in normalem Licht und unter UV-Anregung
Auch unter dem Mikroskop sind Flechten interessant. So lässt sich z.B. der Aufbau eines Thallus oder eines Apotheciums schon gut an einfachen Handschnitten beobachten. Mit Glück oder bei der Erstellung eines Quetschpräparats sind auch Sporen aus dem Apothecium zu sehen und bei den frischen Schnitten heben sich die Algenlager im Durchlicht schön grün ab. Die folgenden Bilder wurden auf dem Workshop anhand von Handschnitten mit dem Mobiltelefon durchs Okular gemacht (dafür sind sie gar nicht so übel ... :) ).
Flechten unter dem Mikroskop
Wir danken Frau Dr. Berger für den wunderbaren Abend mit interessantem Vortrag und lehrreichem Workshop!
Impressionen aus dem Seminarraum