Herbstlicher Blattfall im mikroskopischen Präparat
Herbstlaub des Ginkgos
Dr. Michael Miedaner, vom 28.09.2020
Im Herbst fallen die Blätter. Doch wie funktioniert das eigentlich, dass zu Beginn der kalten Jahreszeit viele Bäume ihre Blätter abwerfen und was davon können wir im Licht- mikroskop beobachten?
In der Zeit von Mitte September bis etwa Ende Oktober nehmen wir Zweigstücke von 1 bis 2 cm Länge und daran sitzenden Blattstielbasen. In unserem Beispiel handelt es sich um einen Kastanienbaum (Aesculus hippocastanum). Diese Stücke fixieren wir in AFE einige Tage lang und legen sie dann bis zur Weiterbearbeitung in 70% Alkohol. Am Schlittenmikrotom fertigen wir Längsmesserschnitte von 25µ und färben sie seriell in W3A. Wer will, kann sie anschließend in Mountex oder Euparal oder einem anderen Einschlußmittel eindecken.
Bild 1: Blattstiel und Spross
Bild 1 zeigt das Geschehen im Überblick: In der linken Bildhälfte der Blattstiel mit den meist grün gefärbten Blattzellen und dem zentralen Leitbündel des Blattes. In der rechten Bildhälfte den Stamm, aus dem das Leitbündel austritt. Uns interessiert die Grenzzone zwischen Blatt und Stamm. Von oben und unten wächst auf das Leitbündel eine rote Zellschicht zu: es ist eine Korkschicht, das Periderm, das nach dem Blattfall für den mikroben- und bakteriensicheren Verschluss der durch den Abfall des Blattes verursachten Wunde sorgt.
Bild 2: Blattstiel und Spross im Detail
In Bild 2 erkennt man (links oben) die großen, grüngefärbten meist toten Blattzellen und unterhalb des Leitbündels eine blau gefärbte, kleinzellige lebende Schicht eines Meristemgewebes. Das ist die Trennungsschicht (Abscissionszone). Diese Trennschicht liegt außerhalb des Stammes im Blattstiel. Diese Zellen teilen sich ständig, runden sich dann ab und sorgen so dafür, dass sich das Blatt immer mehr vom Stamm trennt. Irgendwann hängt das Blatt nur noch an Resten des Leitbündels, das dann, begünstigt durch Schwerkraft und Wind, irgendwann durchbricht: das Blatt fällt. Übrig bleibt eine Wunde, die durch das Aufeinanderzuwachsen des Periderms sicher verschlossen wird.
Bilder 3, 4 & 5
Bild 3 zeigt die wichtigen Zellschichten nochmals bei 200facher Vergrößerung: linke Bildhälfte die großzelligen, grünen Blattzellen. Dann nach rechts, dem Stamm zu, die kleinzelligen, blau gefärbten Meristemzellen der Abscissionszone. Nach rechts folgt jetzt eine helle, mehrlagige Schicht, die schon zum Periderm gehört. Es ist das Phellem aus toten Zellen, die das Phellogen, die rot gefärbte Schicht rechts daneben, nach außen, dem Blatt zu, abgibt. Nach innen, dem Stamm zu, gibt das Phellogen nur eine kleine, hier etwa zweilagige Abschlußschicht, das lebende Phelloderm (Korkhaut) ab. Diese drei Schichten, Phellem, Phellogen und Phelloderm bilden das Periderm, das wundverschließende Abschlußgewebe.
Aber längst bevor das Blatt fällt, hat der Baum dafür gesorgt, dass alles, was das Blatt noch an verwertbaren Baustoffen in sich trägt, in den Stamm zurückgeleitet wird. Das Blatt wird geradezu leer gepumpt, wie es Bild 4 zeigt. Die großen Blattzellen sind fast alle weitestgehend leer. Nur noch wenige Stärkekörner befinden an den Randzellen der Leitbündel. Die Zellen des Stammes dagegen bersten geradezu von eingelagerten Stoffen (Bild 5). Um diese Stärkekörner darzustellen, legen wir einen Längsmesserschnitt in einen großen Tropfen Wasser, dem wir einen sehr kleinen Tropfen Lugolscher Lösung hinzufügen. Die Stärkekörner färben sich jetzt blau-schwarz und sind eindeutig identifizierbar. Sie wären auch in der W3A-Färbung zu erkennen, heben sich aber hier nicht so deutlich ab.
Bild 6: Oxalat in den Zellen des Blattes (Polarisationskontrast)
Umgekehrt wurden Stoffe, die der Baum nicht mehr braucht, ins Blatt ausgelagert. Im polarisierten Licht erkennt man, dass weit mehr Calciumoxalatkristalle im Blatt als im Stamm vorhanden sind (Bild 6).
Das Geschehen, das zum Blattfall führt ist im Detail betrachtet, extrem komplex und kompliziert. Es sind Enzyme wie Pectinasen und Cellulasen am Werk, die die Mittellamellen der Zellwände auflösen (Pectinasen) oder die Cellulose, die die Pflanzen in ihre Zellwände einlagern, abbauen (Cellulasen). Das alles wird gesteuert von einer Vielzahl von Phytohormen, die hier zusammenwirken. Allen voran das gasförmige Reifehormon Ethylen.
Dieses Präparat haben wir im diesjährigen Mikroskopikertreffen in Inzigkofen „Mikroskopieren – ein Workshop für Amateure“ hergestellt.