Verbänderung beim Straucheibisch (Hibiscus syriacus)
Jörg Weiß, vom 28.02.2022
Im folgenden Artikel möchte ich eine botanische Besonderheit zeigen, die sich an unserem Straucheibisch eingestellt hat. Als Verbänderung oder Fasziation bezeichnet man besondere Wuchsformen von Pflanzen, die an allen Pflanzenteilen auftreten können, uns aber insbesondere an Blüten (gerne bei Löwenzahn - Taraxacum sect. Ruderalia - und Gänseblümchen - Bellis perennis) und Sprossen, hier z.B. im Bild 1 beim Orientalische Zackenschötchen (Bunias orientalis), auffallen.
Diese Wachstumsstörungen reizen natürlich zur Erstellung von Schnittpräparaten, die wir uns gleich gemeinsam ansehen werden. Zunächst aber wie immer etwas zur Pflanze selbst.
Bild 1: Verbänderung am Spross des Orientalischen Zackenschötchens (Bunias orientalis)
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Interessantes zum Straucheibisch
Der Straucheibisch ist eine der vielen Arten aus der Gattung Hibiscus in der Familie der Malvaceae aus der Ordnung Malvales. Er stammt ursprünglich aus China und ist dort in den zentralchinesischen und östlichen Küstenprovinzen heimisch (z.B. Anhui, Guangdong, Sichuan und Yunnan). Dort findet man ihn an Küstenklippen, Abhängen, Flussufern und Straßenrändern bis in 1200 m Meereshöhe.
Der Straucheibisch wird in seinem natürlichen Verbreitungsgebiet und mittlerweile weltweit häufig kultiviert. Er gelangte über alte Handelswege früh in den Orient (daher das Artepitheton syracius) und heute gibt es zahlreiche Sorten, die weltweit in tropischen und gemäßigten Zonen als Zierpflanzen in Parks und Gärten genutzt werden.
Hibiscus syracius ist ein laubabwerfender Strauch, der Wuchshöhen von 1 bis 4 Meter erreichen kann. Die Rinde der frischen Sprosse ist grün im gleichen Farbton wie Blätter und Blattstiele. Mit dem Beginn des sekundären Dickenwachstums bildet sich ein Periderm und der Spross vergraut. Die Rinde ist bei jüngeren Sprossen dann leicht behaart, später bleibt sie meist glatt, besetzt mit vielen Lentizellen und gezeichnet von einzelnen Rissen.
Bild 2: Rinde des Straucheibischs an einem etwa zehnjährigen Stamm
Die meist rhombisch-eiförmigen, mehr oder weniger dreilappigen, grob kerbsägigen Laubblätter sind 2,5 bis 9 cm lang und 1,5 bis 5 cm breit. Der behaarte Blattstiel ist 0,5 bis 3,5 cm lang. Die Nebenblätter sind 4 bis 6 mm lang.
Bild 3: Blattwerk des Straucheibischs
Im oberen Drittel der einzelnen Sprosse erscheint oft in jeder den Blattachseln eine einzeln stehende Blüte auf einem 0,5 bis 2 cm langen Blattstiel. Die ausgebreiteten, radiärsymmetrischen, zwittrigen, fünfzähligen Blüten weisen je nach Sorte einen Durchmesser von etwa 4 bis 8 cm auf. Die sieben bis neun Außenkelchblätter sind schmal lanzettlich bis linealisch, 6 bis 15 mm lang und besitzen Sternhaare. Die fünf 1,2 bis 1,7 cm langen, gelblichen Kelchblätter sind bis zur Hälfte verwachsen und besitzen Sternhaare. Die fünf weißen, rosa-, purpurfarbenen, violetten oder blauen verkehrt-eiförmigen Kronblätter sind 4 bis 5 cm lang und 2 bis 3,5 cm breit. Wie es für die Unterfamilie Malvoideae charakteristisch ist, sind die Kronblätter in der Knospenlage razemisch nach links oder rechts gedreht und die vielen Staubblätter zu einer den Stempel umhüllende Röhre verwachsen, der sogenannten Columna. Es wurden aber auch Sorten mit gefüllten Blüten, also mit einer höheren Anzahl von Kronblättern, gezüchtet.
Bild 4: Blüten des Straucheibischs
Die Kapselfrucht weist eine Länge von 1,5 bis 2 cm und einen Durchmesser von 1 cm auf. Die Samen sind 2 bis 4 mm lang, tief nierenförmig und in der Medianebene fast ringsum von einem dichten Kranz feinster, rund 2 mm langer "Wimpern" umsäumt. Dies verbessert deren Ausbreitungsfähigkeit durch den Wind.
Bild 5: Samen des Straucheibischs
Blätter und Blüten sind essbar und können roh oder gegart gegessen werden. Ein kleiner Tipp: auch für die gelegentlich noch gehaltenen Landschildkröten sind die Blüten - auch noch welk - ein Genuss, der einmal erkannt zu erstaunlichen Laufgeschwindigkeiten anregt ... .
Auch in der Medizin werden alle Pflanzenteile vielfältig eingesetzt. So findet Hibiskustee z. B. bei Erkältungen, Appetitlosigkeit oder Kreislaufbeschwerden Anwendung in der Volksmedizin. Die Fasern des Straucheibisch sind denen der Jute bezüglich Gewinnung und Nutzung sehr ähnlich und finden auch heute noch in tropischen und subtropischen Gebieten Verwendung. Fun fact: aus den Blättern lässt sich ein Haarwaschmittel herstellen und naheliegend: besonders die Blüten der einfarbigen Sorten lassen sich auch zum Färben verwenden.
Der Straucheibisch ist die inoffizielle Nationalblume Südkoreas. Dort Mugunghwa genannt, wird Hibiscus syriacus seit über 2000 Jahren gezüchtet. Die Pflanze wird sogar in der südkoreanischen Nationalhymne erwähnt: "Unser Land mit seinen Flüssen und Bergen, auf denen die Mugunghwa blüht, wollen wir Koreaner kommenden Koreanern weitergeben." Auf dem Staatswappen Südkoreas ist die Blüte heute noch stilisiert als Kranz der 5 Blütenblätter zu finden und auf der Rückseite der 1 Won Münze findet sich auch eine über die Jahre immer wieder angepasste Abbildung der Blüte.
Bild 6: Illustration zum Straucheibisch, William Curtis, 1790, The Botanical Magazine, Plate 83, Volume 3, gemeinfrei
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Straucheibisch (allgemeine botanische Beschreibung)
https://krank.de/behandlung/heilpflanzen/hibiskus/ (Nutzung als Heilpflanze)
https://dewiki.de/Lexikon/Aegukga (Nationalhymne Südkoreas)
https://de.ucoin.net/coin/south_korea-1-won-1983-2020/?tid=15857 (1 Won Münze)
Hier die Informationen zur Präparation
Geschnitten habe ich den normalwüchsigen und verbänderten Spross freistehend auf dem Tempelchen (Zylindermikrotom im Halter als Tischmikrotom) mit Leica Einmalklingen 818 im SHK Halter.
Die Schnittdicke beträgt je ca. 50µm.
Anschließend habe ich wie immer einige Aufnahmen von den frischen, unfixierten Schnitten gemacht.
Fixiert wurden diese für ca. 18 Stunden in AFE.
Die Färbung ist W3Asim I bzw. W3Asim II nach Rolf-Dieter Müller. Gefärbt habe ich nach Überführen in Aqua dest. mit dem Farbgemisch für ca. 8 Minuten mit einmaligem leichten Erwärmen.
Anschließend habe ich wieder gut mit Aqua dest. gespült und für ca. 24 Stunden mit mehrmaligem Wechsel des Wassers sanft differenziert.
Eingedeckt wurden die Schnitte nach gründlichem Entwässern mit reinem Isopropanol wie immer in Euparal.
Kurz zur verwendeten Technik
Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem CPlan 4x, dem NPlan 5x sowie den PlanApos 10x, 20x und 40x entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.
Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.
Erläuterungen zur Verbänderung
Eine Verbänderung oder Fasziation ist - wie einleitend schon angesprochen - eine in der Regel seltene und ungewöhnliche Wuchsform von Pflanzen. Die betroffenen Pflanzen oder Pflanzenteile werden Kammformen oder Cristaten genannt. Verbänderungen wurden bisher an mehr als hundert verschiedenen Pflanzenarten beobachtet. Sie können an allen Pflanzenteilen wie Wurzeln, Sprossachsen, Blättern, Blütenständen, Blüten und Früchten sowohl krautiger als auch verholzender Pflanzen auftreten.
Eine Verbänderung weist eine große Ähnlichkeit mit einer dichotomen Verzweigung auf, bei der sich die Scheitelzellen eines Sprosses in zwei Gabelsprosse teilen. Bei der Verbänderung bleibt der Teilungsprozess jedoch unvollständig, so dass sich der sonst punktförmige Vegetationskegel an der Spitze des Sprosses linear verbreitert. Hierdurch wird das folgende Gewebe nicht wie im Normalfall zylindrisch, sondern band- oder kammförmig und infolge innerer Spannungen häufig verdreht ausgebildet.
Bild 7: Große Kammform an der Probepflanze
Mögliche Auslöser einer Verbänderung sind Schädigungen durch Viren und phytopathogene Bakterien (z.B. Rhodococcus fascians), insbesondere durch diese in die Pflanzen verbrachte Plasmide aber auch Pilzinfektionen, Milbenbefall sowie Chemikalien, ionisierende Strahlung und spontane Mutation. Vermutlich rufen die durch die Schädigungen verursachten Wuchsstörungen in den Pflanzen ein genetisches Alternativprogramm auf, das von der bei Samenpflanzen normalen Verzweigung durch Seitenknospen auf die ursprüngliche dichotome Verzweigung umschaltet. Kann diese aber z. B. wegen im Laufe der Evolution verloren gegangener oder umfunktionierter Gene nicht vollständig ausgeführt werden, kommt es zur Verbänderung.
Relativ häufig sind Cristatformen bei hoch sukkulenten und nur gering verzweigenden Pflanzen wie z. B. Kakteen zu beobachten. Sie kommen natürlich vor und scheinen, wie sehr große und alte Exemplare zeigen, die betroffenen Pflanzen nicht zu behindern. In Kultur werden sie jedoch zur besseren Erhaltung und Vermehrbarkeit häufig gepropft. Manchmal entwickeln sich aus Cristaten spontan wieder normale Sprosse. Bei krautigen oder dünntriebigen Pflanzen ergeben sich durch die Verbänderung manchmal Versorgungsprobleme, so dass die Cristaten nach einiger Zeit zurücktrocknen. Bei einer Kulturform des Silber-Brandschopfes (Celosia argentea var. cristata) ist die Fähigkeit zur Ausbildung verbänderter Blütenstände erblich und wird durch züchterische Arbeit erhalten.
Auch bei Blütenständen des Löwenzahns treten Verbänderungen ungewöhnlich häufig auf. Dabei können sowohl verbänderte Blütenstände, als auch mehrere Blütenstände normaler Form an der Spitze einer verbänderten Sprossachse auftreten.
Bild 8: Ein Spross mit einer kleineren Kammform und Schnittführung für die folgenden Präparate
Die obenstehende Beschreibung entstammt der Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Verb%C3%A4nderung). Die von uns Hobbybotanikern häufig benutzten Standardwerke enthalten leider wenig bis nichts zum Thema. In Esaus "Pflanzenanatomie", Everts "Esaus Pflanzenanatomie" und im "Pflanzenanatomischen Praktikum I" von Braune, Leman, Taubert findet sich keinerlei Erwähnung. Das gilt auch für die englischsprachigen Titel "Anatomy of Seed Plants" von Esau und "Plant Anatomy" von Mauseth. Nur im Strasburger gibt es einen verschämten Halbsatz, den zu zitieren nicht lohnt.
Im Netz habe ich einige ältere Aufsätze zum Thema gefunden, die aber in der Regel nur Funde beschreiben. Etwas ausführlicher ist "Verbänderte Euphrasien" von Hans Schaeftlein, 1966 (Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark).
Wer hier eine weitere, vor allem rezente Quelle kennt: ich würde mich freuen. Die beiden in Wikipedia genannten Quellen sind mir leider nicht zugänglich:
Marc C. Albertsen, et al.: Genetics and Comparative Growth Morphology of Fasciation in Soybeans (Glycine max [L.] Merr.). Botanical Gazette 144(2): 263–275, 1983.
A. A. Sinjushin, S. A. Gostimsky: Fasciation in pea: Basic principles of morphogenesis. Russian Journal of Developmental Biology 37(6): 375–381, 2006.
Der verbänderte Spross im Querschnitt
Wie in Bild 8 zu sehen, habe ich nicht die große Verbänderung an unserem Straucheibisch präpariert, sondern eine der zwei ebenfalls vorhandenen kleineren. Diese weist an der Schnittstelle aber auch schon 6 verwachsene Sprosse auf.
Hier möchte ich diesen Schnitt (W3Asim I) nun dem eines normalen Sprosses (W3Asim II) gegenüber stellen.
Zunächst einige Bilder eines normal entwickelten Sprosses von Hibiscus syriacus:
Bilder 9a-d: Normaler Spross von Hibiscus syriacus im Querschnitt, Bilder 9c&e mit Beschriftung
Wir sehen einen recht unspektakulären Dicotylenspross mit beginnendem sekundären Dickenwachstum, also beginnender Peridermbildung (Per) unter der noch vorhandenen aber abgestorbenen Epidermis (Ep) und Cuticula (Cu). Damit liegt die Betrachtungsrichtung fest, schauen wir also auf die weitere Gewebeabfolge von außen nach innen.
Wir finden zunächst ein Kollenchym (Kol), gefolgt vom Rindenparenchym. Darin eingelagert die Sklerenchymkappen (Skl) der primären Leitbündel, die nicht zu einem geschlossenen Ring verwachsen sind. Darunter folgt das Phloem (Pl), das durch einen ebenfalls unterbrochenen Ring von sklerifiziertem Phloemparenchym (SklPP) unterbrochen wird. Nun folgen Cambium (Ca) und Xylem (Xl) mit Tracheen (T) und Markstrahlen (MS). Den Abschluss bilden das primäre Xylem (pXl) und das Markparenchym (MP).
Der Spross selbst ist nur leicht elliptisch geformt.
Schauen wir uns das nun beim verbänderten Spross an:
Bilder 10a-k: Verbänderter Spross von Hibiscus syriacus im Querschnitt, Bilder 10c,e,g&i mit Beschriftung
Wenig erstaunlich: wir finden exakt den gleichen Gewebeaufbau wie beim normalen Spross in den Bildern 9 inklusive des sklerifizierten Phloemparenchyms (SklPP - Hartbast). Der Aufbau des Periderms (Per) ist etwas weiter fortgeschritten, es sind aber auch noch einige Trichome (Tr) auf der auch hier abgestorbenen Epidermis (Ep) erkennbar.
Allerdings ist das ganze Gebilde gestreckt und die einzelnen verwachsenen Sprosse sind nur anhand einer gewissen Wellenform (Siehe Bild 10a) erkennbar. zusätzlich finden wir in den Bildern einige Nebenleitbündel (NLB), vermutlich Blattspuren (Siehe Bilder 10h bis k).
Alles in allem ist die von außen betrachtet doch sehr auffällige Fasziation (in Bild 7 zähle ich 14 verwachsene Sprosse) anatomisch gesehen tatsächlich nur das: eine Verwachsung unterschiedlich vieler Sprosse in der Form, dass die Leit- und Abschlussgewebe einen mehr oder weniger stark gewellten Ring um das gemeinsame Markparenchym bilden.
Auch bei der Verbänderung zeigen schon die ungefärbten Schnitte alle Details, daher zum Schluss noch einmal eine Bilderreihe von einem frischen, unfixierten Schnitt:
Bilder 11a-i: Verbänderter Spross von Hibiscus syriacus im frischen, unfixierten Querschnitt, Bild 11d mit Beschriftung
Für die Abkürzungen gilt die gleiche legende wie unter der Bildserie 9. Im Polarisationskontrast (Bild 11f) treten einige Calciumoxalatdrusen zu Tage.
Literatur und Links
[1] Mikroskopisch-botanisches Praktikum
Gerhard Wanner
, Thieme, 2. Auflage 2010
[2] Pflanzenanatomie
Katherine Esau, Gustav Fischer Verlag, 1969
[3] Botanische Schnitte mit dem Zylindermikrotom
Jörg Weiß, MBK 2011
[4] Botanische Färbungen im Vergleich
Jörg Weiß, MKB 2019
[5] Tabelle der Abkürzungen zur Pflanzenanatomie
Jörg Weiß, MKB 2013
[6] Esaus Pflanzenanatomie
Ray F. Evert
de Gruyter, 2009
[7] Der Straucheibisch (Hibiscus syriacus)
Wikipedia, Stand 23.02.2022
Bildquellen
- Bild 6: Illustration zum Straucheibisch
William Curtis, 1790, The Botanical Magazine, Plate 83, Volume 3, gemeinfrei
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