Sonnen- und Schattenblätter beim Efeu (Hedera helix)

Bild 1: Efeulaub an einem juvenilen Spross
Jörg Weiß, vom 29.10.2015
Der Efeu ist, da ganzjährig verfügbar, eine gute Pflanze, um das Erstellen botanischer Schnitte zu üben und die Ergebnisse zu vergleichen. So habe ich auch in der ver- gangenen Woche bei einer Schnippelsession wieder auf ihn zurück gegriffen. Die Probe stammt von einer Pflanze aus der Nach- barschaft, die schon öfter für eine Probe her halten musste. Diesmal hatten wir jedoch wenig Zeit und ich habe einen vorwitzigen Spross und ein Blatt von prominenter Stelle genommen, während ich sonst eher dezenter zu Werk gegangen bin.
Während der Spross keine Auffälligkeiten im Vergleich zu älteren Präparaten der selben Pflanze zeigte, gab es beim Blatt ein - für mich in seiner Deutlichkeit überraschendes - Ergeb- nis, das ich hier zeigen möchte.
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Informationen zum Efeu

Der Gemeine Efeu oder kurz Efeu (Hedera helix) ist eine Kletterpflanze aus der Gattung Efeu (Hedera) in der Familie der Aralien- gewächse (Araliaceae). In Österreich wird diese Art auch Eppich genannt.
Er ist eine immergrüne, ausdauernde Pflanze, die durch Haftwurzeln in der Lage ist, an Bäumen und Mauern empor zuklettern, wobei er Höhen von bis zu 20 Metern erreichen kann. Der Gemeine Efeu ist der einzige einheimische Wurzelkletterer in Mitteleuropa. Wenn keine Kletterstützen wie Mauern oder andere Pflanzen erreichbar sind, überwuchert der Efeu gelegentlich flächendeckend den Boden.
Auffällig sind die beiden unterschiedlichen Sprosstypen, die auch unterschiedlich geform- te Blätter tragen. Der unten folgende Vergleich fand an Blättern der Juvenilsprosse statt.
Die Juvenilsprosse wachsen kriechend und kletternd. Nur sie bilden die Haftwurzeln aus, die Manfred in seinem Thread zeigt. Sie sind dorsiventral und oft leicht abgeflacht - der Aufbau der dem Licht abgewandten Unterseite unterscheidet sich von der dem Licht zugewandten Oberseite. Nur die Unterseite bildet Haftwurzeln aus und nur im Rindenparenchym der Oberseite finden sich größere Mengen an Chloroplasten. Auch scheint die Bildung eines Periderms an der Unterseite des Triebes eher einzusetzen, als an der Oberseite.
Die Blätter der Juvenilsprosse haben die typische drei- bis fünflappige "Efeu-Form" (Schattenblätter).
Die adulten Sprosse hingegen sind rundlich und wachsen aufrecht. Nur sie tragen Blüten und später Früchte. Die Blätter hier sind rautenförmig und in der Regel deutlich größer wie die Blätter an den Juvenilsprossen (Sonnenblätter). Es kann bis zu zwanzig Jahre dauern, bis eine Efeupflanze erstmals adulte Sprosse ausbildet und somit blüht und fruchtet.
Efeu kann sehr gut über Stecklinge vermehrt werden. Eine Pflanze, die aus einem juvenilen Steckling gewachsen ist, bildet später normale adulte Sprosse aus. Eine aus einem adulten Spross gezogene Pflanze ist jedoch nicht in der Lage, die kletternden juvenilen Sprosse zu bilden.
Ein Hinweis: sämtliche Pflanzenteile des Gemeinen Efeus sind giftig. Zeichen der Vergiftung können schon nach Einnahme von zwei bis drei Beeren auftreten: Brennen im Rachen, Durchfall und/oder Erbrechen, Kopfschmerzen, erhöhter Puls, Krämpfe. Häufig sind auch Kontaktdermatiden durch Reaktion des Falcarinols mit den Proteinen der Haut.
Kurz zur Präparation
Die frische Probe wurde in
Möhreneinbettung auf dem Handzylindermikrotom mit Leica Einmalklingen im SHK-Klingenhalter quer geschnitten. Die Schnittdicke beträgt bei allen Schnitte ca. 50 µm. Wer möchte, findet
hier weitere Informationen zum Schnitt mit dem Handzylindermikrotom.
Gefärbt habe ich die Schnitte - nach ca. 20-minütiger Fixierung in AFE und Überführen in Wasser - mit dem W3Asim II Farbstoff von Rolf-Dieter Müller. Entsprechende Arbeitsblätter können im
Downloadbereich unserer Webseite herunter geladen werden. Nach der Färbung wurde vor dem Entwässern durch häufiges Spülen mit jeweils frischem Aqua dest. sanft differenziert.
Eine ausführliche Beschreibung der W3Asim-Färbungen finden Sie auch auf unserer Webseite:
zum Artikel von Rolf-Dieter Müller.
Eingedeckt sind die Schnitte - nach gründlichem Entwässern in reinem Isopropanol - in Euparal.
Die verwendete Technik
Alle Aufnahmen entstanden auf dem Leica DM E mit den Objektiven NPlan 5 und 40x sowie den 10x und 20x PlanApos. Die Kamera ist eine Canon Powershot A520 mit Herrmannscher Okularadaption. Zur Zeit nutze ich am Adapter ein Zeiss KPL 10x, das mit den Leica-Objektiven sehr gut harmoniert. Die Steuerung der Kamera erfolgt am PC mit dem Programm PSRemote und der Vorschub wird manuell anhand der Skala am Feintrieb des DM E eingestellt.
Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.
Ein wenig Theorie
Von Buche und Ahorn ist die unterschiedliche Ausprägung von stark besonnten Blättern in der äußeren Krone des Baums ("Sonnenblätter") und den eher lichtarm gewachsenen Blättern im inneren der Krone oder auf der Schattenseite des Baums ("Schattenblätter") als Lehrbuchbeispiel bekannt ([2], S. 175, 2.1.3.; [6], S. 274). Der gleiche Effekt zeigt sich aber auch beim Efeu und vermutlich auch bei vielen anderen Pflanzen, da die zu Grunde liegenden Abläufe die gleichen sind.

Bild 3: Schattenblatt und Sonnenblatt im Vergleich (Fig. 122 aus Haberlandt, Physiologische Pflanzenanatomie, 1924)
Wie die obige Illustration zeigt, sind das Schwamm- und insbesondere das Assimilationsparenchym (Palisadenparenchym) im Sonnenblatt bei gleichem grundsätzlichen Aufbau deutlich stärker ausgeprägt.
Man könnte nun meinen, dass ein Blatt im Schatten ein ausgeprägteres Assimilationsparenchym braucht, um das einfallende Licht besser nutzen zu können. Dem ist aber nicht so und wir bekommen auch einen ersten Anhalts- punkt, dass das zur Photosynthese bereitstehende Licht nicht der begrenzende Faktor ist.
Nicht das Licht? Was ist es dann? Der begrenzende Faktor ist das verfügbare Wasser. Schatten bedeutet ja nicht nur weniger Licht, sondern auch weniger Wärme und damit eine geringere Verdunstungsrate durch die Blattstomata.
Schaut man sich die (vereinfachte) Summenformel für die Photosynthese an, merkt man schnell, dass Wasser eine wichtige Rolle spielt:

Bild 4: Photosynthese in der Summenformel (Quelle: science.lu)
Um ein Zuckermolekül zu synthetisieren, werden also nach der vereinfachten Photosynthese-Formel aus Bild 4 je 6 Moleküle Kohlendioxid und Wasser benötigt.
Eine geringere Verdunstung bedeutet aber auch eine geringere Sogkraft für den Transport des Wassers durch die Tracheen und Tracheiden des Xylems in das Blatt und damit weniger verfügbares Wasser. Auch ein stärker ausgeprägtes Palisadenparenchym mit größeren Zellen und mehr Chloroplasten könnte also keine höhere Photosyntheseleistung erbringen, da mit dem Wasser ein wichtiger Ausgangsstoff nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung steht.
Auch das im Sonnenblatt stärker ausgeprägte Schwammparenchym lässt sich so erklären: es sorgt für die Verteilung des Wassers in den Zellen und für ausreichend Raum zur Verdunstung in den Interzellularräumen.
Wie stellt sich das nun beim Efeu dar? Schauen wir zunächst einmal die Pflanze an, von der die Probe stammt:

Bild 5: Der Efeu mit den beiden "Probestellen"
Die Pflanze dient an einer Nord-Süd-ausgerichteten Straße als Umrandung für ein Abfalltonnen-Gatter. In nördlicher Richtung schließt sich gleich die Tonnenbox des Nachbarn an. Die letzte Probe habe ich etwa an der eingekreisten Stelle genommen ("Sonnenprobe"), bei früheren Beprobungen habe ich mich dezent hinter der Box des Nachbarn bedient ("Schattenprobe"). Bild 5 zeigt nun zwei Blätter von den unterschiedlichen Entnahmestellen:

Bild 6: Sonnen- und Schattenblatt des Efeus
Ausgewählt habe ich je ein großes, altes Blatt von beiden Stellen. Tendenziell sind die Schattenblätter tatsächlich etwas größer (Eine größere Blattfläche bringt eine höhere Anzahl Stomata mit sich und verstärkt so die Verdunstung). Was das Foto nur erahnen lässt: das Sonnenblatt hat einen deutlich festeren, "lederigeren" Griff als das Schattenblatt, das fühlbar dünner ist. Den Beweis dazu bringen natürlich die Schnitte, die wir uns nun anschauen werden.
Sonnen- und Schattenblatt des Efeus im Präparat
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Mittelrippe. Erst sehen Sie das Sonnenblatt und dann das Schattenblatt, danach noch einmal beide Blätter mit Beschriftung in gleicher Reihenfolge.
Bilder 7a-d: Mittelrippe im Querschnitt beim Sonnen- und Schattenblatt des Efeus
Schon hier ist gut zu erkennen, dass das Sonnenblatt deutlich kräftiger gebaut ist. Das gilt auch für das zentrale Leitbündel in der Mittelrippe, was zur obigen Theorie passt: ein höherer Stoffdurchsatz bedingt einen größeren Querschnitt des Leitbündels.
Informationen zu den Abkürzungen in den Bildern 6c&d sowie den folgenden beschrifteten Bildern finden Sie hier auf der Webseite des MKB:
Tabelle mit den Kürzeln und den zugehörigen allgemeinen Erläuterungen.
Nun zum Querschnitt der Blattspreite, wieder haben wir die gleiche Reihenfolge wie oben beschrieben: erst das Sonnenblatt, dann das Schattenblatt und dann noch mal mit Beschriftung.
Bilder 8a-d: Blattspreit im Querschnitt beim Sonnen- und Schattenblatt des Efeus
Der Unterschied ist mehr als auffällig: finden wir im Sonnenblatt drei ausgeprägte Reihen länglicher Zellen in einem dicht stehenden Palisadenparenchym, so sehen wir beim Schattenblatt zwar ebenfalls drei Reihen, diese sind aber eher rundlich und die Dicke des Assimila- tionsparenchyms ist deutlich geringer: 210 µm beim Sonnenblatt gegenüber rund 90 µm beim Schattenblatt. Das gleiche gilt für die Dicke des Blattes insgesamt: hier haben wir rund 450 gegen 260 µm. Beim Schwammparenchym ist der Unterschied geringer: wir finden ca. 200 gegen 180 µm.
Zum Schluss erlauben wir uns noch einen genaueren Blick auf das Schwammparenchym und die Stomata, wieder in der bewährten Reihenfolge.
Bilder 9a-d: Schwammparenchym und Stoma im Querschnitt beim Sonnen- und Schattenblatt des Efeus
Wie nach den vorangegangenen Bildern zu erwarten, finden wir hier keine grundsätzlichen Unterschiede. Nebenleitbündel wie in den Bildern 9a & c vom Sonnenblatt finden sich natürlich auch in Schattenblättern, sie gehören zur normalen Nervatur des Efeu-Blattes, die man auch in der Aufnahme 6 gut erkennen kann.
Von der Buche habe ich zum Vergleich lediglich ein Sonnenblatt (Rotbuche, Fagus sylvatica):
Bilder 10a & b: Sonnenblatt der Buche
Auch hier sind die Merkmale des Sonnenblatts, insbesondere das ausgeprägte Palisadenparenchym, bestens zu erkennen. Allerdings hat das Sonnenblatt der Buche an der Spreite nur eine Dicke von insgesamt 180 µm.
Aufgrund der geringeren Dicke und der festeren Struktur ist das Buchenblatt deutlich schwerer zu schneiden wie das Efeu-Blatt. Da es zudem nicht ganzjährig verfügbar ist, stellt sich mir die Frage, warum nicht der Efeu als Lehrbuchbeispiel heran gezogen wird. Gut, an einem Baum ist die Unterscheidung Sonnenblatt-Schattenblatt sicher plakativer zu erklären, allerdings sind die Schattenblätter meist auch schwerer zu erreichen. Beim Efeu dürfte oft das Problem bestehen, dass ausgeprägte Sonnenblätter aufgrund der üblichen Standorte der Pflanzen schwieriger zu finden sind.
Literatur und Links
[1] Anatomy of Seed Plants, 2nd Edition
Katherine Esau, Wiley-India Reprint 2011.
[2] Pflanzenanatomisches Praktikum I
Braune, Leman, Taubert, Spektrum 2007.
[3] Botanische Schnitte mit dem Zylindermikrotom
Jörg Weiß, MBK 2011
[4] Wacker für Alle
W3Asim Färbungen von Rolf-Dieter Müller, MKB 2011
[5] Tabelle der Abkürzungen zur Pflanzenanatomie
Jörg Weiß, MKB 2013
[6] Physiologische Pflanzenanatomie
G. Haberlandt, 6. Auflage 1924
Bildquellen
- Bild 2: Illustration Efeu
Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz
Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé, 1885
Quelle: www.biolib.de, Kurt Stüber
- Bild 4: Photosynthesegleichung
science.lu
Luxemburgs Wissenschaftsseite für die breite Öffentlichkeit
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