Raman-Mikrospektroskopie und der Kalk aus dem Wassserkocher – Aragonit oder Calcit?
Dr. Horst Wörmann,
vom 11.04.2023
Jeder kennt die Kalkabscheidungen, die sich im Wasserkocher oder in der Dusche bilden.
Das ist Calciumcarbonat, das im Wesentlichen in zwei Modifikationen vorkommt: Calcit und Aragonit. Welche der beiden liegt nun in unseren Kalkkrusten vor?
Im Mikroforum wurde die Frage von witweb am 28. Sept. 2020 aufgeworfen [1]; man war sich aber nicht über die vorliegende Form einig. Der folgende Beitrag berichtet über die Aufklärung mittels Mikro-Raman-Spektroskopie.
Im Wasserkocher finden sich im Filter solche harten Rückstände im Sieb:
Abb. 1: Kalkkrusten im Wasserkocher-Sieb
Im Mikroskop zeigt sich, daß diese Krusten aus einem harten Filz feiner, ungefähr gleich großer Nadeln bestehen. Abb. 2 zeigt ein isoliertes Nadelbüschel, in etwas Wasser mit einer Spur Ochsengalle vermischt, um Luftblasen zu vermeiden. Wie schon im erwähnten Forumsbeitrag erwähnt, fluoreszieren diese Nadeln bei Anregung mit 470 nm grünlich (Abb. 4).
Abb. 2: Kalkkristalle aus dem Wasserkocher (Hellfeld, Zeiss EC Plan-Neofluar 40x/0,75, Stack 38 µm/25 Bilder mit Abstand 1,5 µm, picolay)
Abb. 3: wie Abb. 2, 3-D-Bild für rot/cyan-Brille, mit picolay erzeugt.
Bei Anregung im Kurzwelligen mit 365 nm erhält man blaue Fluoreszenz; das Fluoreszenz-spektrum Abb. 5 zeigt, daß die „grüne“ Fluoreszenz eine Folge des verwendeten Sperrfilters ist. Die Emission reicht nämlich weit in den kurzwelligen Bereich hinein, wird aber durch das Sperrfilter ab etwa 500 nm derart beschnitten, daß der Blauanteil fehlt und nur grün erscheint. Da die Emission ist schwach ist, sind Aufnahmen nur bei verdunkeltem Raum zu empfehlen, sonst erfaßt die Kamera zwar grüne Bilder, die aber Reflexe der Raumbeleuchtung darstellen.
Die Fluoreszenz der Aragonite und Calcite ist verbreitet [2] und bei Mineraliensammlern wohlbekannt; allerdings fluoreszieren die Kristalle meist rötlich. Dies wird durch Spuren von eingelagertem Mangan erzeugt und liefert ein Emissionsspektrum mit einem Maximum bei ca. 625 nm. In unserem Falle könnten auch Spuren organischen Materials die Ursache sein – was noch zu beweisen wäre.
Abb. 4: Kalkkristalle aus dem Wasserkocher (links Fluoreszenz bei 470 nm, Mitte bei 365 nm Anregung, rechts Hellfeld)
Abb. 5: Fluoreszenzspektren zu Abb. 3. Blaue Kurve: Emission bei 470 nm Anregung, grüne bei 365 nm. Intensitäten angepaßt.
Bei einem isolierten Kristall ist es gelungen, ein Raman-Spektrum aufzunehmen. Bild 6 zeigt einen Kristall mit einer Breite von 6,9 µm, der grüne Fleck ist der auf den Kristall fokussierte, beugungsbegrenzte Laserstrahl mit einem Durchmesser von ca. 2 µm. Die Laserintensität im Präparat beträgt 18 mW (gemessen mit Coherent FieldMax II-Laserleistungmeßgerät) bei 532 nm Wellenlänge. Die Wellenlängenkalibrierung des Spektrometers (thermoelektrisch gekühltes ASEQ HR-1) erfolgte mit einem Neon-Strahler, auf die Korrektur der Laserwellenlänge wurde verzichtet, weil auch die Literaturdaten alle leicht abweichen. Aufgrund der konfokalen Anordnung regt ausschließlich der im Bild gezeigte Laserpunkt die Raman-Streuung an, die Umgebung wird ausgeblendet, mit Ausnahme der Wasserschicht oberhalb und unterhalb des Kristalls, die das breite Wasser-Signal bei 3000-3700 cm-1 erzeugt.
Selbst bei einem so kleinen Kristall erhält man noch ein brauchbares Raman-Spektrum (Abb. 7). Bei 60 s Integrationszeit des Spektrometers entstand das Spektrum in Abb. 7 mit deutlichen Signalen, auf eine Filterung oder Glättung konnte verzichtet werden.
Zur Identifizierung wurden kristalline Proben von Originalmaterial herangezogen, die unmittelbar anschließend an die Probenaufnahme unter exakt gleichen Bedingungen hergestellt wurden (Calcit: Mineralprobe von Olaf Medenbach, Aragonit: Kristallstufe von Fa. Krantz, Bonn).
Abb. 6: Kristall zur Raman-Messung: die grüne Markierung ist der Laser-Punkt zur Anregung. Der Kristall ist 60 µm lang und 6,9 µm breit. Hellfeld, EC Plan Neofluar 40x/0,75
Die Bande bei 1086 cm-1 ist die Carbonat-Bande, die bei beiden Modifikationen die gleiche Lage hat.
Diagnostisch wertvoll sind die Banden zwischen 150 und 300 cm-1: 203 cm-1 ist Aragonit zuzuordnen, 277 cm-1 dem Calcit. Die Banden bei 703 cm-1 und 711 cm-1 sind weniger charakteristisch, haben eine geringe Intensität und sind daher manchmal durch Rauschen verfälscht und schwerer zu interpretieren (hierzu siehe [4]).
Glücklicherweise gibt es keine Störung durch Fluoreszenz, die bei der Raman-Spektroskopie oft unvermeidbar sind (s. Abb. 7 beim hellgrünen Calcit-Spektrum).
Das Ergebnis ist eindeutig: die Nadeln aus dem Wasserkocher sind Aragonit. Unter den vorherrschenden Bedingungen in meinem Wasserkocher in Verbindung mit der Zusammensetzung des örtlichen Leitungswassers bildet sich diese Modifikation bevorzugt.
Abb. 7: Raman-Spektrum des Kristalls in Abb. 5 mit Vergleichsspektren von Calcit (hellgrün) und Aragonit (blau). Laser 532 nm, gesamter Meßbereich von 150 bis 3600 cm-1 . Der „Buckel“ bei 3000-3700 cm-1 in der dunkelgrünen Kurve ist der Raman-Peak des Wassers, der sehr breite „Berg“ in der hellgrünen Kurve des Calcits ist Fluoreszenz. Calcit und Aragonit (blaue Kurve) waren festen Proben, deshalb kein Wasser-Raman-Peak; keine Fluoreszenz des Aragonits!
Abb. 8: Vergrößertes Raman-Spektrum des Kristalls von Abb. 6 mit Vergleichsspektren von Calcit (hellgrün) und Aragonit (blau).
Es wird oft behauptet, daß bei höheren Temperaturen (oberhalb 60-70 °C) aus thermo-dynamischen Gründen bevorzugt Aragonit und bei niedrigen Temperaturen bevorzugt Calcit auskristallisiert, weil Calcit die stabilere Modifikation ist. Es ist aber komplizierter, wie weitere Versuche mit der Kalkbildung bei Raumtemperatur zeigten (siehe dazu ein Review [3]).
In einem weiteren Versuch wurde Leitungswasser in einem Becherglas bei etwa 25 °C eingedunstet, abgedeckt gegen Staubeinfall mit einer Filterpapierscheibe. Auf den Boden wurde ein Deckglas aufgelegt, auf dem sich nach etwa einer Woche Kristalle abgeschieden haben:
Abb. 9: Kristallausfällungen bei 25 °C. Bildbreite 342 µm, Hellfeld, EC PlanNeofluar 40x/0,75
Es zeigten sich einheitliche Kristalle mit dem für Aragonit typischen Habitus, was durch ein Raman-Spektrum bestätigt wurde.
In einem weiteren Versuch wurde Leitungswasser in einer Petrischale bei Raumtemperatur bis zur Kristallabscheidung eingeengt. Hierbei entstanden neben Aragonit-Kristallen wie in Bild 9 auch gut ausgebildete Calcit-Kristalle, die die gleiche grüne und blaue Fluoreszenz bei 365 und 470 nm zeigten wie die oben beschriebenen Aragonitkristalle.
Abb. 10: Calcit-Kristalle beim Eindampfen in einer Petrischale bei Raumtemperatur. Hellfeld, PlanApo 20x/0,60. Bildbreite 683 µm, Kristallgrößen etwa 200x200 µm
Abb. 11: wie Abb 10, gekreuzte Polfilter.
Abb. 12: wie Abb. 10
Abb. 13: Zum Schluß noch ein Eindruck von der Raman-Messung!
Zusammenfassung
Unter den Bedingungen im Wasserkocher (Temperaturen um 100 °C) bildet sich ein dichter Filz aus Aragonitnadeln, die zu harten Kesselsteinkrusten verbacken. Calcit ist unter diesen Bedingungen nicht nachweisbar.
Der Aragonit konnte mit Hilfe der Raman-Mikrospektroskopie eindeutig identifiziert werden.
Kompliziert sind die Verhältnisse beim Eintrocknen des Leitungswassers bei Raumtemperatur.
Hier wurden je nach Versuchsbedingungen sowohl homogene Aragonitausfällungen als auch Aragonit/Calcit-Gemische beobachtet.
Literatur
[1] https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38644.msg300097#msg300097
[2] Fonda, Gorton R. (1940). The Preparation of Fluorescent Calcite. The Journal of Physical Chemistry, 44(4), 435–439. doi:10.1021/j150400a007
[3] Jones, Brian, Review of calcium carbonate polymorph precipitation in spring systems, Sedimentary Geology (2017), doi:10.1016/j.sedgeo.2017.03.006
[4] Roger Frech, Echung Chiang Wang, J.B. Bates, The i.r. and Raman spectra of CaCO3 (aragonite), Spectrochimica Acta Part A: Molecular Spectroscopy, Volume 36, Issue 10,1980,Pages 915-919,ISSN 0584-8539,https://doi.org/10.1016/0584-8539(80)80044-4.
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