Das launische Mikroskop
Thilo Bauer,
vom 06.01.2020
Die meisten Beobachter von planktonischen Lebewesen unter den Mikroskopikern kennen sicherlich den Effekt: Die visuelle Beobachtung, und erst recht die fotografische Abbildung von im Wasser lebenden Organismen mit dem Lichtmikroskop will an manchen Tagen einfach nicht gelingen. Mit einiger Erfahrung stellt sich die Erkenntnis ein, dass der Effekt mit der Schichtdicke der Wassersäule über den beobachteten Organismen zusammen hängt. Dieser Effekt hatte auch mich Jahre lang beschäftigt und ich habe scherzhaft immer gesagt, dass mein Mikroskop launisch sei und oft auch schlechte Tage habe.
In der Grundausstattung erwarb ich mein Arbeits-Mikroskop mit Plan-Achromaten (Zeiss N-Achroplan). Diese günstigen und einfacher konstruierten Objektive sind Allrounder und verzeihen so manchen Fehler. Der Tümpler hat es ja meist mit dicken Schichten einer Wassersäule im Präparat zu tun. Die Objekte selbst sind gelegentlich recht dick, etwa große Ciliaten, Kleinkrebse oder größere Zieralgen. Oder man hat wieder einmal eine zu große Menge Wasser unter dem Deckglas eingeschlossen. Manche Beobachtungsverfahren, etwa die Mikroaquarien von Michael Müller setzen sogar voraus, dass man dicke Wasserschichten erhält, um das Leben im Wassertropfen zu beobachten.
Mikroaquarien von Michael Müller im Tümpler Forum
Die klassischen Objektive am aufrechten Mikroskop sind Trockenobjektive (bis etwa 40x) oder Ölimmersionen (60x-100x). Die mittleren Vergrößerungen funktionieren meist noch zuverlässig auch in dicken Wasserschichten (bis etwa 20x). Ab einer Vergrößerung 40x erkennt man jedoch Unterschiede in der Abbildung in verschiedener Wassertiefe im Präparat. Der Effekt ist besonders störend, wenn man ein gut farbkorrigiertes Objektiv verwendet, etwa Neofluare oder Apochromate. In tiefen Wasserschichten gelangen solche Objektive rasch an ihre Leistungsgrenze. Je tiefer man in die Probe fokussiert, um so flauer erscheint die Abbildung. Visuell hat man noch den Eindruck, das Objektiv würde scharf abbilden. Farbe und Kontrast verwaschen jedoch mit zunehmender Tiefe der Fokuslage in der Probe. Wichtige Bestimmungsmerkmale werden nicht mehr gesehen.
Physikalischer Hintergrund
Beim Übergang vom Objektiv durch Luft oder ein Immersionsmedium über das Deckglas bis zum Objekt durchlaufen die Lichtstrahlen abwechselnd Luft, Glas und Wasser, eventuell noch eine rauhe Pellicula der betrachteten Lebewesen. An jedem dieser Übergänge werden die Lichtstrahlen gebrochen und abgelenkt. Der optische Fehler, der hierbei auftritt, heißt sphärische Aberration. Hierbei bilden Lichtbündel, die das Objektiv am Rand durchlaufen und Lichtbündel nahe der optischen Achse unterschiedliche Fokusebenen. Grund sind die Wechsel der Brechungsindizes an den Grenzflächen (Glas-Luft, Glas-Medium, Glas-Wasser).
Abb. 1: Entstehung der sphärischen Aberration beim Öl-Immersionsobjektiv bei Beobachtung in wässrigen Medium. Abbildung entnommen aus: Vermeulen, K. et al. 2006. Optical trap stiffness in the presence and absence of spherical aberrations. Applied Optics 45(8):1812-9.
Grund für einen Abbildungsfehler dieser Art ist nicht die Unzulänglichkeit der Objektive sondern das Verhalten des Lichts beim Durchgang durch das Medium in dem sich die Probe befindet, z.B. Wasser. Insbesondere die besonders gut farbkorrigierten Optiken, wie Fluare, Neofluare und Apochromate, sind für eine bestimmte Deckglasdicke (Standard: 0,17 mm) gerechnet und liefern eine gute Abbildung nur in einer vergleichsweise dünnen Schicht knapp unterhalb des Deckglases. In tieferen Schichten einer Wasserprobe werden die Lichtstrahlen anders gebrochen. Auch Öl-Immersionsoptiken sind hier empfindlich, da das Immersionsmedium einen anderen Brechungsindex hat, als eine dicke Wasserschicht. Die Lichtstrahlen laufen mit zunehmender Tiefe im Präparat immer mehr auseinander und divergieren auch für unterschiedliche Lichtfarben. Der beobachtete Effekt der sphärischen Aberration mit zunehmender Tiefe führt zu einem zunehmenden Kontrastverlust der Abbildung, aber auch zu steigender chromatischer Aberration (Farbfehler).
Damit haben wir die Ursache und auch mögliche Gegenmaßnahmen beschrieben. Um diesen Effekt zu mildern, gibt es daher mindestens die folgenden sechs Strategien für kleinen, mittleren und großen Geldbeutel.
Strategien zur Vermeidung sphärischer Aberration
- Abblenden
- Quetschpräparation
- Dünne Deckgläser
- Hochbrechende Einschlussmedien
- Das inverse Mikroskop
- Wasser-Immersionsobjektive
Auf die Optionen 1-5 soll hier nicht näher eingegangen werden. Sie werden im
Originalartikel auf der Webseite des Autors näher erläutert.
Wasser-Immersionsobjektive
Wasser-Immersionsobjektive unterscheiden sich von Trockenobjektiven oder Öl-Immersionsobjektiven dadurch, dass zwischen Objektiv und Deckglas ein Wassertropfen als Immersionsmedium eingebracht wird. Sie sind je nach Bauform für eine Benutzung mit oder ohne Deckglas (Eintauchobjektive) gerechnet. Durch diese Maßnahme erreicht man, dass die Lichtstrahlen, weitgehend unabhängig von der Tiefe des Objekts in der wässrigen Lösung, nahezu ungestört durch Wasser laufen. Der optische Weg zum beobachteten Objekt bleibt nahezu konstant. Lediglich die Lage des Deckglases zwischen Objektiv und Objekt verändert sich.
Das Prinzip der Wasser-Immersion wurde 1867 von Hartnack eingeführt und später auch von anderen (Zeiss: 1875) weitergeführt. Objektive zur Öl-Immersion zur Erhöhung der Apertur wurden wenige Jahre später angeboten. Immersionsobjektive mit numerischer Apertur 1,5 waren schon um 1892 bekannt (siehe auch: S. Bradbury, Evolution of the Microscope. Elsevier, 2014). Zweifellos sind moderne Wasser- oder Multi-Immersionsobjektive auf vielfache Weise weiterentwickelt, neu konstruiert und verbessert worden. Die Grenze der numerischen Apertur liegt hier um 1,3, was dem Beobachtungsmedium Wasser geschuldet ist. Aktuelle Wasser- oder Multi-Immersionsobjektive besitzen eine Möglichkeit zur Korrektur der Dicke des Deckglases. Die Dicke des Deckglases sollte man ggf. mit einer Messlehre nachmessen und den Korrektionsring entsprechend einstellen. Spezialobjektive wie die Life-Cell-Imaging (LCI) Objektive von Zeiss sind noch empfindlicher einstellbar und besitzen zusätzlich eine Kompensation der Umgebungstemperatur (23-37°C). Zweifellos liefern diese empfindlichen Spezial-Optiken den besten Kontrast bei Wasserproben, für die sie bestimmt sind. Solche Objektive sind sicherlich auch eine teuere Wahl bei der Anschaffung. Meine Empfehlung fällt jedoch eindeutig zugunsten dieser Spezialobjektive aus, da sie bei Beobachtung in wässrigen Medien den besten Kontrast und höchste Auflösung liefern.
Abb. 2: Der Einstellring an einem Zeiss Multi-Immersionsobjektiv 40x/0,9 gestattet die Verwendung verschiedener Immersionsmedien: Öl, Glyzerin und Wasser. Für wässrige Proben ist die Immersion mit einem Wassertropfen anzuraten. Diese Objektiv-Serie kann durchaus als potenter Vorläufer der modernen LCI Plan-Neofluare und C-Apochromate bezeichnet werden.
Ich möchte hier nur zwei Vergleichsaufnahmen zeigen, die sphärische Aberration bei einem sehr guten Trockenobjektiv 40x/0,75 demonstrieren. Zum Vergleich eine Aufnahme durch ein Wasser-Immersionsobjektiv vergleichbarer Vergrößerung, ein C-Apochromat 40x/1,2 W. Ich arbeite immer mit einstellbaren Mikroliterpipetten, um einheitliche Wassermengen zu entnehmen und so möglichst reproduzierbare Präparate und Abbildungen zu erhalten. Die Tropfengröße ist an der Pipette auf 25 µl oder 50 µl Volumen eingestellt, je nachdem ob kleine bis mittlere Ciliaten oder die großen Brummer schadlos beobachtet werden sollen. Bei einem Deckglas von 18x18 mm ergibt dies für 50µl Probenvolumen eine Wassersäule von etwa 150 µm Höhe, durch die man hier auf eine am Boden des Präparats liegende Grünalge blickt.
Abb 3: Eine Grünalge in dicker Wasserprobe am Boden des Präparats auf dem Objektträger liegend. Die beiden RAW Aufnahmen wurden jeweils einzeln fokussiert und nicht digital bearbeitet. Die Wassersäule durch die man hindurch blickt beträgt hier etwa 150 µm zzgl. Deckglas von 0,17 mm Dicke. Links Abbildung mit dem Trockenobjektiv Zeiss Plan-Neofluar 40x/0,75, rechts mit dem modernen Wasser-Immersionsobjektiv Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W. Das Trockenobjektiv zeigt bei dieser Wassersäule deutliche sphärische Aberration. Das Wasser-Immersionsobjektiv mit Korrekturring für Deckglasdicke und Temperatur liefert unter gleichen Bedingungen eine saubere und knackig scharfe Abbildung.
Fazit
Der Vergleich optischer Abbildungen oder Fotografien mit dem Mikroskop hängt von sehr vielen Faktoren ab. Sphärische und chromatische Aberration tritt ein, wenn Trockenobjektive oder Öl-Immersionsobjektive tiefer in wässrige Lösungen vordringen sollen. Daher sind solche Objektive praktisch ungeeignet für die Beobachtung in tieferen Wasserschichten und auch nicht untereinander vergleichbar, da sie für diesen Zweck nicht konstruiert sind. Bereits die Wahl unterschiedlich dicker Deckgläser oder eine veränderte Schichtdicke der Wasserprobe können zu eklatanten Unterschieden in der Qualität der optischen Abbildung führen. Lösungen wie die Wahl unterschiedlich dicker Deckgläser oder spezielle Einbettungsmedien für lebende Zellen bleiben ein Notbehelf mit begrenzter Anwendbarkeit. Moderne Wasser-Immersionsobjektive am aufrechten Mikroskopstativ sind für diese wechselnden Bedingungen konzipiert worden und die beste Wahl. Sie sollten unter solchen Umständen auch eingesetzt werden, wenn optimale visuelle oder fotografische Abbildungsqualität hinsichtlich Kontrast und optischer Auflösung gefordert sind und stabil gewährleistet werden sollen.