Protargol: Die Synthese
Ein mit Protargol gefärbter Ciliat
Thilo Bauer, vom 28.05.2022
Holotypus Exemplare spielen in der Biologie eine entscheidende Rolle bei der Verwaltung von Taxa und ihrer Namen. Solche Holotypus Präparate, wie sie auch für die großen höher entwickelten Lebewesen aus den naturkundlichen Museen bekannt sind, sind daher der wichtige Referenzpunkt einer neuen Artbeschreibung. Zur Bestimmung der Ciliaten 1) bieten ihre charakteristischen Kineten wichtige Merkmale der Arten. Kineten, oder engl. "kineties", bezeichnet die Organisation der Wimpern der Ciliaten, die meist in Reihen angelegt sind. Kineten sowie die Form und Lage ihrer Macronuclei 2) und der Micronuclei, die kleinen Zellkerne, deren Chromosomen 3) das eigentliche Erbgut tragen, sind die wichtigen, charakteristischen Merkmale der Ciliatenspezies.
Die Protargolimprägnierung ist hier der Goldstandard für die Darstellung von Ciliaten (Ciliophora). Diese Imprägnierung mit Protargol, einem Silberproteinat, stellt wichtige Elemente dar: Zellkerne, die Anlage der Basalkörper der Cilien und gelegentlich auch fibrilläre Strukturen, die eng mit der Motorik der Wimpern verbunden sind. Ferner liefert nur die Protargolimprägnierung bislang solche Dauerpräparate zur Dokumentation von Holotypus- oder Paratypus-Exemplaren der Ciliaten mit ihren wichtigen arttypischen Merkmalen. So ist die Protargolimprägnierung bis heute der De-Facto-Standard der Dokumentation neuer Arten der Ciliaten, um Holotypusmaterial in Sammlungen zu hinterlegen.
Protargol ist ursprünglich ein Produktname für ein aus einem Silberalbuminkomplex bestehendes Antibiotikum aus der Zeit vor der Entdeckung des Penicillin. Zufällig wurde experimentell auch seine Eignung zur Färbung mikroskopisch kleiner Zellstrukturen bei Nervenzellen und später auch für die Wimpertiere entdeckt. In der neueren Literatur gibt es zahlreiche Anmerkungen, dass kommerziell verfügbares Protargol nicht mehr funktionieren solle. Noch vorhandene Mengen werden angeblich in einigen Instituten gehütet. So dann haben Pan et al. (2013) in Anlehnung an frühere Experimente von Davenport (1952) erneut eine Vorschrift zur Synthese des wichtigen Protargol zur Darstellung der Ciliaten veröffentlicht. Nach dieser sehr detaillierten Vorschrift habe ich mir nun erstmals auch Protargol selbst hergestellt, nachdem ich mit einem kommerziell erworbenen Protargol bereits gute Erfahrungen gemacht habe.
Der Trick ein funktionierendes Protargol zu erhalten liegt offenbar in der Auswahl eines geeigneten Peptons für die Synthese des Silberprotein-Komplexes. Mit dem von mir verwendeten Pepton hatte ich bereits mit der nassen Silberimprägnierung gute Erfahrungen gemacht. Daher schien es generell geeignet zu sein als Basis für die Protargol Synthese. Außer den wesentlichen Zutaten, Pepton und Silbernitrat, bleibt die Zutatenliste für die Synthese überschaubar. In meinem Fall habe ich einige Chemikalien, die für die Reaktion und Aufreinigung erforderlich sind (Ammoniakwasser, Aceton) aus dem Baumarkt bezogen, um zu überprüfen, ob man das mit handelsüblichen Agenzien auch "auf dem Küchentisch" herstellen kann. Um es vorweg zu nehmen: Man kann, der Zusatz "In-house Protocol" im Titel einer neueren Publikation ist nicht übertrieben. Die Protargolsynthese lässt jedoch noch Spielraum zur Vereinfachung mit "Bordmitteln", welche man noch frei erwerben kann.
Der weitere Erfolgsfaktor liegt in der Fixierung der empfindlichen Ciliaten, bei der die Strukturen der empfindlichen Ciliaten Zelle weitgehend erhalten bleiben sollen. Schließlich ist das Ziel der Färbung ein Dauerpräparat als Typus Belegmaterial. An den bisher verwendeten Fixiermitteln führt aktuell noch kein Weg vorbei. Nur die bislang erprobten Fixiermittel sind geeignet die Morphologie selbst empfindlicher Ciliaten gut zu erhalten um diese nicht allzusehr zu entstellen. Jedoch funktionieren diese nicht alle gut. Heterotricha, wie Spirostomum oder Stentor sind sehr kontraktile, und daher besonder heikle Gattungen, deren Formerhalt meist nicht gut gelingt. Aber auch die Hypotrichen sind ein heikles Kapitel für sich. Definitiv nicht für das Küchenlabor geeignet sind solche Silberimprägnierungen, die mit Champy und da Fano in der Fixierung arbeiten. Aber auch Bouin und Sublimat nach Steve sind kritisch in der Handhabung. Am Horizont erscheinen neuerdings weniger kritische Fixiermittel, die bereits in der Histologie und Ciliatologie Verwendung finden, deren Anwendung unkritischer und deren Entsorgung einfacher ist. Die nächste Runde für den Hobbyisten geeignete Verfahren zu entwickeln, ist eröffnet und auch die Protargolsynthese kann davon nicht ausgenommen werden. Ich werde hierüber zu einem späteren Zeitpunkt berichten, sollte sich zeigen, dass diese alternativen Fixiermittel tatsächlich bei den Ciliaten allgemein gut funktionieren.
Das selbst hergestellte Protargol steht im Vergleich mit früheren Arbeiten und eigenen Erfahrungen mit einem kommerziellen Protargol diesem in nichts nach, wie die folgenden Abbildungen zeigen. In der Ausschnittsvergrößerung des letzten Bildes erkennt man das Peristom des Ciliaten mit dem dieses umgebenden Wimpernreihen, deren feine Basalkörper sowie einige fibrilläre Strukturen hier ebenfalls dargestellt sind. Da freut sich das Herz des aufstrebenden Hobby-Ciliatologen: Das selbst hergestellte Protargol hat funktioniert.
Zuletzt sei angemerkt: Die Protargol Synthese ist nichts für ungeduldige Naturen. Die Herstellung ist an sich nicht schwer, aber zeitintensiv. Ein Wochenende sollte man einplanen bis zum Erhalt des fertigen Produkts.
Bild 1: Protargolimprägnierung einer anonymen, bislang nicht beschriebenen Ciliaten Art. Deutlich zu erkennen ist der moniliforme aus mehreren Paketen bestehende Zellkern, sowie das lange Peristom anhand der dunkel gebeizten Verlauf der Bewimperung.
Bild 2: Details des Peristoms der gleichen Art an einem anderen Exemplar.
Bild 3: Chemisch eng verwandt mit der Protargolsynthese ist die nasse Versilberung nach Fernandez-Galiano (1976). Bei dieser Methode wird kein Silberalbumin vorab synthetisiert. Stattdessen reagiert ein frisches Reaktionsgemisch aus einem Pepton, einer ammoniakalischen Silbercarbonatlösung und einem Lösungsmittel im Präparat selbst (in situ). Diese Art der Imprägnierung soll nach übereinstimmenden Berichten verschiedener Autoren keine guten, dauerhaften Mikropräparate liefern. Das folgend abgebildete Mikropräparat wurde nass in der Reaktionslösung mit Nagellack umrandet aufbewahrt. Inwieweit und über welche Zeiträume diese kreative Methode der Aufbewahrung dauerhaft erhaltene Präparate liefert ist noch zu klären. Bislang hat mein Präparat zwei Jahre Aufbewahrungszeit in einem Präparatekasten unbeschadet überstanden.
Eine Bemerkung muss sein
Zur vollständigen Beschreibung meines Experiments gehören leider auch negative Erfahrungen bei der Ausübung meines Hobbys, insbesondere durch dramatische politische Veränderungen in den letzten 10 Jahren: Als Schüler habe ich von dem Apotheker meines Vertrauens in der Mikroskopie benötigte Farbstoffe, Einbettungsmedien, Alkohol oder Hilfsstoffe zur Gewebefixierung aus den Katalogen von Merck, Sigma und anderen Lieferanten und nach Rücksprache mit meinen Eltern bestellen können und unter Verwendung meines begrenzten Taschengelds erworben. Vor einigen Jahren musste ich nun plötzlich umdenken. Inzwischen geben Apotheker und Firmen dieselben chemischen Substanzen nicht mehr an Privatpersonen ab. Innerhalb weniger Jahre wurden auch die bekannten Kosmos Chemie Experimentierkästen für Schüler und Jugendliche derart abgespeckt, dass der Umfang der Experimente dem didaktischen Anspruch der Vermittlung von Grundwissen der Chemie und dem bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien kaum noch gerecht werden kann. Lehrer beklagen, dass Experimente an den Schulen inzwischen nicht mehr durchgeführt werden, weil Verbote und Regulierungen dies zunehmend verhindern und eine neuerdings geforderte Dokumentation neben der Lehrtätigkeit zu aufwendig wird. Offen gesagt, mir ist kein Kollege in der Mikroskopie bekannt, der durch die gelegentliche Verwendung des Farbstoffs Kongorot in der Mikroskopie nachweislich von einem Tumor befallen und tot vom Stuhl gefallen wäre. Dennoch ist der Farbstoff in Schulen inzwischen verboten. Gründe liegen vor allem auch in einer beständig zunehmenden Regulierungswut in der Europäischen Union, welche inzwischen absurde Ausmaße annimmt und obendrein kleine, mittelständische Firmen benachteiligt. Dies ist umso bedauerlicher, als eben dieselben Europäischen Regelungen des Handels mit chemischen Stoffen gleichzeitig konstatieren, dass sie wenig geeignet erscheinen, das Risiko von Anschlägen unter Zuhilfenahme als gefährlich eingestufter Substanzen zu verhindern. Neue Regelungen zur Erhebung der Mehrwertsteuer in der EU, welche seit 2015 eine Erklärung und Abfuhr im Land des Empfängers bedeuten, stellen zusätzliche Hemmnisse für den allgemeinen Handel in der EU dar. Diese allgemeine Veränderung des "Binnenmarkts" führte dazu, dass auch einschlägig unter Hobby Mikroskopikern bekannte Anbieter neuerdings auf ihren Verkaufsseiten darauf hinweisen, dass man Farbstoffe für die Mikroskopie und andere benötigte Produkte nicht mehr in Nachbarländer der EU liefern werde. Die zunehmende Bürokratie und das Erfordernis verschiedener Steuererklärungen für jedes einzelne Land des Empfängers hat hier einen Umfang erreicht, der für den kleinen Mittelstand unwirtschaftlich ist. Die Realpolitik in der EU widerspricht inzwischen ihren eigenen Grundsätzen vom Verständnis eines Binnenmarktes im Sinne freien Handels und der freien Berufswahl. Demnach dürfe beispielsweise kein Bürger durch seine Staatsangehörigkeit benachteiligt werden. Solche Maßnahmen sind nicht nur als völlig ineffizient zu bezeichnen. In der Rückschau bremsen solche "Reformen" die Kreativität und Bildungswege junger, interessierter Menschen, wie ich es einst war, in zunehmendem Maße, denen der einfache Zugang zu klassischen und experimentellen Methoden der Biologie, Chemie oder Mikroskopie heute zunehmend verwehrt wird. Diese politischen Entwicklungen sind sehr bedenklich und als völlig unsinnig zu bezeichnen. Sie stellen eine Entmündigung des Bürgers dar, behindern die Bildungsmöglichkeiten und kreativen Möglichkeiten insbesondere für junge Menschen und sogar den freien Handel von Waren und Dienstleistungen.
Literatur
- Davenport, H. A., Porter, R. W., & Myhre, B. A. (1952). Preparation and testing of silver-protein compounds. Stain Technology, 27(5), 243-248.
Link zum Artikel (PubMed)
- Pan, X., Bourland, W. A., & Song, W. (2013). Protargol synthesis: an in‐house protocol. Journal of Eukaryotic Microbiology, 60(6), 609-614.
Link zum Artikel (PubMed)
- Fernandez-Galiano, D. (1976). Silver impregnation of ciliated protozoa: procedure yielding good results with the pyridinated silver carbonate method. Transactions of the American Microscopical Society, 557-560.
Link zum artikel (JSTOR)
Fußnoten
- Der Name Ciliaten (engl.: ciliates) hat sich in der internationalen Fachliteratur eingebürgert und bis heute erhalten. Offiziell musste der Name für das Phylum Ciliata (Perthy, 1852) verworfen werden, weil eine Gattung Ciliata zuvor bereits für eien Gattung von Fischen eingeführt wurde. Daher heißt das Phylum der Taxonomie formal heute Ciliphora. Das deutsche Synonym "Wimpertiere" ist biologisch nicht korrekt, da es sich nicht um Tiere im eigentlichen Sinne handelt. Tiere sind, im Gegensatz zu Ciliaten, mehrzellige Lebewesen. Ciliaten hingegen sind Einzeller, die einen sehr komplexen Aufbau Ihrer Zellen zeigen. So verwende ich auf meiner Website meist durchgängig den Begriff Ciliaten.
- Macronucleus und Micronucleus bezeichnen die zwei verschiedenen Zellkerntypen der Ciliaten. Ciliaten sind in dieser Hinsicht einmalig organisiert, da sie typischerweise diese zwei Formen von Zellkernen in einer Zelle vereint aufweisen. Nur der Micronucleus trägt das für die Zellteilung wichtige Erbgut, während die DNA des somatischen Macronucleus (Großkern) für mikrobiologische Abläufe und Syntheseprozesse in der Zelle verantwortlich ist. Der Macronucleus enthält teilweise vielfache, mitunter tausendfache Kopien von DNA. Die Division der beiden Formen der Zellkerne während der Zellteilung und auch der Austausch von Erbgut während der sexuellen Fortpflanzung der Ciliaten (durch Kopulation) ist komplex.
- Der Begriff der Chromosomen ist in der Fachliteratur zu den Ciliaten nicht wohldefiniert. Ob Ciliaten tatsächlich Chromosomen im eigentlichen Sinne haben, wird in der Literatur vielfach diskutiert. Görtz (1988) verneinte noch die Existenz von Chromosomen für Paramecium Arten, wobei er vermutlich eine solche lichtmikroskopisch erscheinende Struktur meinte für die auch entsprechende Teilungsfiguren erkennbar sind. Die Gattung Paramecium umfasst auch bekannte Arten der "Pantoffeltierchen". Tatsächlich zeigen einige, jedoch nicht alle, Arten der Gattung Paramecium chromosomale Typen von Micronuclei, die bereits lichtmikroskopisch sichtbar sind (Fokin, 2010). Eine neuere Arbeit hat für eine Tetrahymena Art nachgewiesen, dass das Erbgut mittels Gensequenzierung in verschiedene, getrennt detektierbare DNA Stränge unterteilt ist, die von den Autoren ebenfalls als Chromosomen bezeichnet werden. Gelegentlich gibt es bei manchen Arten der Ciliaten analog zu den höher entwickelten Tieren und Pflanzen ablaufende Zellteilungsabläufe mit Bildung von mirkoskopisch sichtbaren Chromosomen.
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