Die Saugorgane der Weißbeerigen Mistel
Fruchtende Weißbeerige Mistel (Laubholzmistel, Vicum album spp. album), Aufnahme von H. Zell, CC BY-SA 3.0
Dr. Michael Miedaner, vom 06.12.2020
Die Weißbeerige Mistel (Viscum album) ist eine epiphytische Pflanze. Sie lebt auf Bäumen, in unserem Beispiel auf einer Birke und hat dement- sprechend ihre Wurzeln zu Saugorganen, Haustorien genannt, umgebaut. Mit ihrer Hilfe zapft die Mistel die Leitungsbahnen ihres Wirts an und kann sich dann als grüne Pflanze, also mit Chlorophyll ausgestattet, die weiteren lebensnotwendigen Stoffe selbst herstellen. Dazu siedelt sie hoch oben in den Bäumen, hat also immer genügend Licht für die Photosynthese. Beste Voraussetzungen also für ein angenehmes Leben. Aber es kommt noch besser!
In diesem Beitrag wollen wir uns mit den Saugorganen der Mistel beschäftigen. Doch gerade dieses Thema scheint von Amateurmikroskopikern nicht oft aufgegriffen zu werden 1). Vielleicht befürchten manche eine schwierige Präparationsarbeit. Doch es ist gar nicht so schlimm, abgesehen davon, dass man erst einmal an die Misteln herankommen muss. Weihnachten kann eine Gelegenheit sein.
Wir schneiden Wirtszweige mit aufsitzender Mistel in ca. 1 bis 2 cm lange Stücke, vom Mistelzweig lassen wir auch noch einen halben cm stehen und legen diese Stücke in AFE. Nach einer Woche folgt mehrtägiges Auswaschen in 70% Alkohol, dann legt man sie in ein Gemisch von Wasser, Glyzerin und Alkohol (1:1:1) und kann sie dort bis zur weiteren Verarbeitung aufheben. Das hier vorgestellte Präparat lag 21 Jahre darin, bis ich es wieder entdeckt und davon am Mikrotom 25µ dicke Längsschnitte hergestellt habe. Wir färben sie seriell in W3A und schließen in Kunstharz ein – und das wars dann auch schon (!)
(Anmerkung der Redaktion: Detaillierte Informationen zur Erstellung botanischer Dauerpräparate finden Sie
hier auf unserer Seite)
Abb. 1: Haustorien der Weißbeerigen Mistel (Laubholzmistel, Vicum album spp. album) im Holz der Wirtzpflanze, gefärbter Längsschnitt
Abb 1. zeigt einen solchen Schnitt 2). Oben ist der Mistelzweig, der über die Rinde ins Holz der Birke eindringt. Im Mistelzweig erkennt man bereits die Xylemstränge, die zielgerichtet nach unten zum Wirt führen, wo sie sich mit dessen Wasserleitungsbahnen verbinden. Sowohl in der oberen wie auch in der unteren Rindenpartie sehen wir grüne Teile der Mistel, sog. Rindensaugstränge. An geeigneten Stellen treibt die Mistel von hier aus ihre Senker ins Holz des Wirts. In der linken unteren Hälfte des Bildes sehen wir im Holzbereich vier grüne Inseln, Querschnitte von solchen Senkern.
Wir gehen wieder zum oberen Teil des Bildes, zum Mistelzweig und betrachten in Abb.2 die Xylemstränge, die – unten im Bild – ans Holz der Birke andocken. Abb.3 zeigt diese bei stärkerer Vergrößerung im Fluoreszenzkontrast. Die netzartig verdickten Wände der Tracheiden sind gut zu erkennen. Abb. 4 und Abb. 5 zeigen die Wände, Tüpfel und Löcher einer Tracheide in groß (Ebenfalls Fluoreszenzkontrat).
Abb. 2: Xylemstränge (rot) im Haustorium der Mistel, gefärbter Längsschnitt
Abbildungen 3 bis 5 im Fluoreszenzkontrast
Abb.6 ist ein Ausschnitt aus der Rinde der Birke. Im oberen Teil erkennt man den Querschnitt eines Mistelsenkers: blau gefärbt mit großen roten Zellkernen. Der Senker ist geradezu eingezwängt in die verholzten und rot gefärbten Stränge der Rinde.
Ein Ast des Wirtes, auf dem sich einige Misteln befinden, kann in seiner Rinder vollständig von den Saugsträngen der Mistel durchzogen sein, die an jeder passenden Stelle Senker ins Holz treiben und es damit durchlöchern. Einen solchen Saugstrang im Querschnitt zeigt Abb.7. Die Fluoreszenz hebt vor allem die Tracheiden hervor. In der Hellfeldaufnahme von Abb. 8 sind die Ausläufer der Rindensaugstrangzellen zu sehen, die etwas schlauchartig geformt und manchmal stark aufgequollen sind. Unten im Bild ist das rot gefärbte Birkenholz zu sehen, das den Rindensaugstrang umgrenzt. Auffallend sind hier auch, wie noch besser im nächsten Bild, Abb. 9 zu sehen, die typischen Zellen des Mistelgewebes: große Zellen mit geradezu riesigen – in diesem Präparat durch W3A rot gefärbten – Zellkernen.
Abbildungen 6 bis 8
Abb. 9: Typischen Zellen des Mistelgewebes: große Zellen mit geradezu riesigen – in diesem Präparat durch W3A rot gefärbten – Zellkernen
Abb.10: Misteltracheiden im Holz der Birke. Die Durchdringung der Birke mit den Schmarotzertracheiden ist so stark, dass man ums Überleben der Birke fürchten muss. Fluoreszenzkontrast
Abb.11: Im Holzteil der Birke eingeschlossener Senker, Erläuterung im Text
Abb.11 zeigt nun einen der vier im Holzteil des Präparats befindlichen Senker im Querschnitt. Inmitten der vielen blaugrünen Zellen mit ihren großen roten Kernen befinden sich die großzelligen Tracheiden.
Es sieht aus, als ob das Holz der Birke (rot) den Senker der Mistel geradezu „umspülen“ würde. Das kommt daher, dass die Mistel den Senker zunächst ins Holz treibt. Hat er eine gewisse Tiefe erreicht, in der Wasserleitungsbahnen des Wirts zu erwarten sind, stellt er sein Wachstum ein und kümmert sich um die Anschlüsse seiner Tracheiden an die Xylembahnen des Wirts. Währenddessen wächst der Wirtsast Jahr für Jahr weiter und umwuchert den Senker. So kommt es zu kleinen Rissen und Zerreissproben.
Abb.12 und Abb. 13 zeigen die gleiche Präparatestelle. Wir sehen, wie die Tracheiden im Senker in das Gewebe des Wirts übergehen. Deutlicher als im Hellfeld (Abb. 12) zeigt das die Abb. 13 im Fluoreszenzkontrast.
Misteln gelten als Halbschmarotzer, weil sie dem Wirt nur Wasser und die darin gelösten Nährsalze entnehmen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Ein Schmarotzer nimmt, was er bekommt. Und so weiß man heute 3), dass die Mistel trotz ihrer Photosynthesemöglichkeit bis zu 40% ihres Gesamtbedarfs an Kohlehydraten und organischem Stickstoff aus dem Xylemsaft ihrer Wirtsbäume heraussaugt.
Den Andockvorgang selbst im Bild zu erfassen und im Detail darzustellen, ist nicht einfach. Vor allem ist es schwierig, eine passende Präparatestelle zu finden. Man bräuchte vermutlich noch wesentlich dünnere Schnitte. Rasterelektronische Untersuchungen 4) konnten die gut 100 Jahre alten Arbeiten von Melchior und Tubeuf weitestgehend bestätigen. In etwa gibt Abb.5 einen Eindruck davon. Auch Abb. 14 deutet diesen Vorgang an. Auch hier kann man erkennen, dass das Birkenholz von Misteltracheiden durchzogen ist.
Abbildungen 12 bis 14
Und wie muss man sich das Andocken vorstellen? Ist eine Misteltracheide auf eine Wasserleitungsbahn des Wirts zugewachsen, kommt es zu einer Berührung. Jetzt wirken Enzyme, Toxine und Wachstumsregler zusammen, um einen Zugang zum Nährstoffreservoir der Wirtspflanze herzustellen. Zentrale Aufgabe ist es, eine „Xylembrücke“ zustande zu bringen. In den Zellwänden werden Gene aktiviert, die ein RNA-Transkript erzeugen. Dieses wird in ein Protein übersetzt, das die Zelle dann zum Abbau der Zellwand nützen kann. Japanische Forscher 5) haben herausgefunden, dass dieses zellwandabbauende Enzym eine Beta-1,4-Glucanase ist. Es gehört zur Familie der Glycosylhydrolase 9B3 (GH9B3). Ohne dieses Enzym kann keine funktionelle Xylembrücke gebildet werden. Sie ist sozusagen die Basis des pflanzlichen Parasitismus.
Was hier so schlüssig klingt, darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem komplexen Geschehen vieles noch nicht erforscht ist 6). Dass die Konzentration der Mineralien in Misteln meist größer ist als in den Ästen der von ihnen befallenen Wirte, dass bis heute kein direkter Phloemkontakt nachweisbar ist, dass die Konzentration und Zusammensetzung von organischen Säuren, Kohlenhydraten und Aminosäuren im Xylemsaft der Wirte anders als in dem der Parasiten ist und vieles mehr, bedarf noch der Klärung.
Doch zurück zu unserer Mistel. Ist so die Verbindung gelungen, bekommt die Mistel aber noch lange keine Nährstoffe. Sie muss jetzt dafür sorgen, dass ihre Tracheiden ein negativeres Wasserpotential aufweisen als das Wirtsxylem. Mit anderen Worten, sie muss jetzt für den notwendigen Sog sorgen. Dies tut sie, indem sie alle ihre Schleusen, d.h. ihre Spaltöffnungen in den Blättern öffnet. Sie muss in weit stärkerem Maße transpirieren als der Wirt und entwickelt daher ungewöhnlich hohe Transpirationsraten. Auch da kommt ihr ihre meist sonnige Lage in der Höhe des Wirtsbaumes entgegen. So entsteht das nötige Wasserpotentialgefälle, der erforderliche Transpirationssog. Bedenkt man, dass manche Bäume mit vielen Misteln besetzt sind, kann das durchaus den Tod des Astes, ja sogar des ganzen Baumes bedeuten. Das ist dann jeweils auch der Tod der Mistel.
Die Mistel - ein „Halbschmarotzer“: Ein Leben mit Risiko. Parasitismus ist eben etwas anderes als Symbiose.
Dieses Präparat haben wir 2020 in Inzigkofen im Kurs
„Mikroskopieren- ein Workshop für Amateure“ gemacht. Da damals die Zeit fehlte, dieses Präparat auch zu erklären, bin ich allen für diese Webseite Verantwortlichen sehr dankbar, dies hiermit nachholen zu dürfen.
Literatur und Links
1) Mit den Saugorganen befassen sich nur zwei der fünf zum Thema Mistel im Mikroskosmos erschienenen Artikel: MK 1933, S. 73ff und MK 1960, S. 355ff
2) Abb. 1 ist ein Panoramabild aus 251 Bildern, fotografiert mit einem 5er-Objektiv im Hellfeld, Objektgröße 18x25 mm.
Abb.4 ist ein Stack aus 16 Bildern, 40er Objektiv, FL.
Abb.5 ist ein Stack aus 13 Bildern, 40er Objektiv, FL.
Abb. 10 polarisiertes Licht mit Gelbfilter, 20er-Objektiv. Keine Blaulichtanregung.
Abb. 14 zeigt das Andoggen bei Verwendung des 20er Objektivs, FL.
Alle Fluoreszenzbilder (FL) bei Blaulichtanregung.
3) Elmar Weiler, Lutz Nover, Botanik, Stuttgart 2008, S. 809
4) Hans Becker, Gerhard Juritza, Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen über den Anschluß der Mistel (Viscum album) an die Leitungsbahnen des Wirtes. In: Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz/Journal of Plant Diseases and Protection, Vol. 79, No.1 (Januar 1972), pp. 27-33. Siehe auch: https://www.jstor.org/stable/43216526
5) Forschungen von Prof. Ken-ichi-Kurotani: https://phys.org/news/2020-10-all-wall-degrading-enzyme-parasitism.html
6) Hans Christian Weber, Parasitismus von Blütenpflanzen, Darmstadt, 1993, S. 94ff
Bildquellen
- Aufnahme Fruchtende Weißbeerige Mistel
(Laubholzmistel, Vicum album spp. album)
Von H. Zell, CC BY-SA 3.0, Quelle Wikipedia
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