Kurze Einführung in die Gewebe der primären Sprossachse
Kurze Einführung in die Gewebe der primären Sprossachse
Mila Noll, vom 01.11.2011
Die mikroskopierenden Botaniker schneiden mit Freude Sprosse quer, färben diese Schnitte und erfreuen uns mit brillanten Farbfotos.
Doch was macht die Sprossquerschnitte so interessant? Hier spielen sicherlich zwei Faktoren eine Rolle: zum Einen gibt es unterschiedliche Gewebe, die sich differenziert anfärben lassen, zum Anderen ist es immer wieder spannend, die genaue Anatomie der verschiedenen Pflanzen bzw. Pflanzenfamilien zu er- kunden. Da gibt es trotz des immer gleichen Grundbauplans viele Variationen zu entdecken, zu deren Identifizierung und Interpretation der vorliegende Artikel eine Einführung geben soll.
Welche Gewebearten lassen sich in der Sprossachse finden? Die Frage lässt sich leicht beantworten, wenn man überlegt, warum eine Pflanze überhaupt eine Sprossachse, also einen „Stängel“ besitzt: Die Sprossachse trägt die Blätter und sorgt für deren optimale Stellung zum Licht, denn mit Hilfe von Sonnenlicht und Chlorophyll (dem grünen Blattfarbstoff) kann die Pflanze Fotosynthese betreiben und dabei aus Wasser und Kohlendioxid Sauerstoff und Glucose (Traubenzucker) assimilieren.
Gleiches gilt natürlich auch für Blüten und Früchte, die gemäß ihrer jeweiligen Befruchtungs- und Verbreitungsart ebenfalls so günstig wie möglich positioniert werden müssen.
Die Sprossachse muss also eine genügende Festigkeit aufweisen und über Leitungsbahnen verfügen, damit das Assimilationsprodukt, der „Zuckersaft“ verteilt werden kann. Außerdem benötigt die Pflanze Leitungen, um Wasser und darin gelöste Nährsalze von den Wurzeln zu den Blättern zu transportieren.
Die Festigkeit erlangt die Sprossachse u.a. mit Hilfe des Festigungsgewebes, der Transport wird durch Leitgewebe gewährleistet.
Eine erste Übersicht
Ausschnitt aus dem Spross des Flachblättrigen Mannstreus (Eryngium planum) mit Beschriftung der Gewebearten, die im Folgenden weiter erläutert werden. Färbung Wacker W3A, Präparation und Aufnahme von Jörg Weiß. Zur Anzeige in Originalgröße auf das Bild klicken.
Epidermis und Cuticula
Nach außen grenzt sich der Spross mit einem Abschlussgewebe, der Epidermis, ab. Diese ist mit einer dünnen, wachsartigen Schutzschicht, der Cuticula, überzogen. Die ein- oder mehrschichtige Epidermis trägt zusätzlich zur Stabilisierung des Sprosses bei und bietet insbesondere durch die Cuticula Schutz vor Verdunstung und dem Eindringen von Schädlingen. Pflanzenhaare stellen ggf. einen zusätzlichen Schutz vor zu starker Sonneneinstrahlung und oder Verbiss dar.
Cuticula und Epidermis, links von einer Orchideenhybride (Phalaenopsis hyb.), rechts vom gewöhnlichen Buchs (Buxus sempervirens). Färbung beides Mal Müller SAC, Präparation und Aufnahme von Jörg Weiß. Zur Anzeige in Originalgröße auf das Bild klicken.
Das Parenchym
Die Hauptgewebemasse im Spross stellt ein Grundgewebe, das Parenchym, dar. Je nach Lage unterscheidet man zwischen dem Rindenparenchym zwischen Epidermis und Leitbündeln, dem Markstrahlparenchym zwischen den einzelnen Leitbündeln und dem Markparenchym im Inneren des Sprosses.
Weitere Klassifizierungen können nach der Funktion (z.B. Speicherparenchym, Chlorenchym oder Assimilationsparenchym, Aerenchym bzw. Durch- lüftungsgewebe) oder der Gestalt der Zellen (Palisadenparenchym, Schwamm- parenchym, Sternparenchym) erfolgen.
Beispiele zu Parenchymen
Das Festigungsgewebe
Beim Festigungsgewebe werden zwei Typen unterschieden, das Kollenchym und das Sklerenchym. Das Kollenchym dient zur Festigung von Pflanzen, die sich noch im Streckungswachstum befinden. Es handelt sich um lebendes Gewebe, die Zellen sind gestreckt, die Zellwände sind nur zum Teil verdickt. In Querschnittsbildern erkennt man Unterschiede bezüglich der Art der Wandverdickung, dem entsprechend spricht man von Platten-, Ecken- oder Lückenkollenchym.
Das Sklerenchym besteht aus toten Zellen, deren Wände komplett verdickt und meist verholzt sind. Ein Stoffaustausch ist nicht mehr möglich. Das Zelllumen ist durch die Wandverdickung stark verkleinert. Bei der Wandauflagerung bleiben kleinen Stellen frei, die als Tüpfelkanäle bezeichnet werden. Sklerenchymatische Zellen können als langgestreckte Fasern vorkommen, oder isodiametrische Steinzellen.
Beispiele zu Festigungsgeweben
Die Leitbündel
Bevor eine Pflanze ihren Umfang durch das sekundäre Dickenwachstum erweitert, sind die „Wasser-und-Nährsalz“-Leitungen und die „Zuckersaft“-Leitungen zu Leitbündeln zusammengefasst. Die Leitungsbahnen, die von unten nach oben das Wasser und die darin gelösten Salze transportieren bestehen aus dem Xylem. Die Leitungselemente, die die Assimilate der Fotosynthese - also den Traubenzucker – befördern, werden als Phloem bezeichnet.
Xylem
Am Aufbau des Xylems sind unterschiedliche Zellelemente beteiligt:
Tracheen (Gefäße) und Tracheiden dienen dem Wassertransport. Tracheen sind durchgängige Röhren, die aus toten Zellen bestehen und deren Querwände aufgelöst sind. Versteifungen in der Zellwand verhindern das Kollabieren der Röhren. Je nach Art und Fortschreiten der Wandversteifung werden Ring-, Schrauben- oder Spiral- und Netzgefäße unterschieden. Bei Schneiden des Sprosses werden die Tracheen manchmal so verletzt, dass sich die spiraligen Wandverdickungen herauslösen und wie gekringeltes Geschenkband aussehen. Tracheiden sind langgestreckte, spitze, englumige Röhrenzellen, deren Zellwände durchbrochen sind und so den Wassertransport ermöglichen. Tracheen und Tracheiden kommen z.B. bei Laubbäumen vor, während man bei Nadelbäumen nur Tracheiden findet. Bei den Laubbäumen befinden sich im Xylem außerdem festigende Sklerenchymfasern, sowie lebendes Xylemparenchym.
Phloem
Im Phloem werden Fotosynthese- produkte mit Hilfe von lebenden Siebzellen (bei Farnen und Nadelbäumen) und Siebröhren (bei Laubbäumen, Kräutern etc.) in verschiedene Richtungen geleitet. Siebzellen sind lange gestreckte, spitze Zellen, deren Wände von Poren unterbrochen sind. Siebröhren sind weitlumiger als Siebzellen, sie bestehen aus einzelnen Röhrengliedern, zwischen denen sich eine gelöcherte Querwand, die Siebplatte, befindet. Siebplatten sind mit Hilfe des Mikroskops gut erkennbar, manchmal liegen sie - herausgefallen aus den Röhren - einzeln im Präparat. Die Leistung der Siebröhren wird durch Geleitzellen unterstützt. Im Phloem befindet sich ebenfalls faserförmiges Festigungsgewebe und Grundgewebe, das Phloemparenchym.
Struktur und Anordnung der Leitbündel
Die Anordnung von Xylem und Phloem in den Leitbündeln ist je nach Leitbündeltyp unterschiedlich. Liegen Xylem und Phloem aneinander, so handelt es sich um ein kollaterales Leitbündel. Bei zweikeimblättrigen Pflanzen (Dikotyledonen) liegt zwischen Xylem und Phloem ein Bildungsgewebe, das Kambium, welches das Dickenwachstum, z.B. eines Baumes, erlaubt. Umgeben wird dieses Leitbündel von einem Sklerenchymring, der das Leitbündel schützt. Dieser Schutzring ist nicht durchgängig, sondern unterbrochen, damit das vom Kambium ausgehende Dickenwachstum ungehindert stattfinden kann. Das Leitbündel wird entsprechend als offen kollateral bezeichnet.
Bei einkeimblättrigen Pflanzen (Monokotyledonen, z.B. Getreide, Zwiebelpflanzen) liegen Xylem und Phloem direkt aneinander, ein Kambium ist nicht vorhanden, der schützende Sklerenchymring umgibt das Leitbündel vollständig. Diesen Typ nennt man geschlossen kollateral. Desweiteren können Leitbündel der Sprossachse bikollateral (z.B. bei Kürbis- und Nachtschattengewächsen) oder konzentrisch (bei unterirdischen Sprossachsen, den Rhizomen) aufgebaut sein.
Ob es sich um eine ein- oder zweikeimblättrige Pflanze handelt, lässt sich bei der mikroskopischen Betrachtung des Sprossachsenquerschnittes leicht beurteilen: bei Monokotylen liegen die Leitbündel zerstreut im Spross, während bei Dikotylen die Leitbündel kreisförmig angeordnet sind. Im Falle des Dickenwachstums einer zweikeimblättrigen Pflanze bildet sich, ausgehend von den Kambien der offen kollateralen Leitbündel, ein geschlossener Kambiumring. Vom Kambium wird dann nach außen neues, sog. sekundäres Phloem (Bast) und nach innen neues, also sekundäres, Xylem (Holz) gebildet.
Beispiele zu Leitbündeln
Literatur
[1] Mikroskopisch-Botanisches Praktikum
Gerhard Wanner, Thieme 2004.
Kapt. 13, Die Sprossachse, S. 162 ff.
[2] Pflanzenanatomisches Praktikum I
Braune, Leman, Taubert, Spektrum 2007.
Die Sprossachse, S. 90 ff.
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